Beim Legen der Landschaftskarte zögerte der Spieler, doch er wusste nicht, dass dieses Spiel anders verlaufen würde als all die Male zuvor.
Kaum war das Plättchen gesetzt, kräuselte sich ein grauer Nebel am Rand des Spielfelds unter den Landschaftskarten hervor. Erst leise und unbemerkt, doch dann kroch er wie eine lebendige Kreatur über die Landschaft, hüllte Städte, Straßen und Wiesen und Klöster in graue Schwaden. Ein unheilvolles Wispern erhob sich, leise, kaum hörbar, als ob tausende Stimmen aus der Ferne nach den Spielern riefen, sie beim Namen nannten. Die Gefolgsleute, die auf den Plättchen platziert wurden, verschwanden nicht einfach – sie versanken förmlich im Nebel, als ob unsichtbare Hände nach ihnen griffen und sie hinab zogen.
„Das ist doch nicht normal“, entfuhr es einem Spieler flüsternd und schaute angsterfüllt auf das Spielfeld. Der Nebel hatte sich bereits um die Städte gelegt, und aus den Nebelschwaden schälten sich schemenhafte Gestalten – Geister, die mit leerem Blick und ausdruckslosen Gesichtern über das Land von Carcassonne schwebten. Es waren die Seelen gefallener Gefolgsleute, die einst in diesen Städten lebten und nun auf Rache sannen.
Mit jedem Plättchen, das die Spieler legten, wurde der Nebel dichter, und das unheimliche Flüstern lauter. „Vertreibt sie! Schließt die Städte ab, bevor sie uns holen!“, rief einer der Spieler verzweifelt, doch es war zu spät. Der Nebel begann, über die Spieler selbst zu kriechen, als ob er sie in die Schattenwelt ziehen wollte. Trotz der Eiseskälte welcher dieser Nebel verströmte, perlte kalter Schweiß auf ihren Stirnen, als sie versuchten, die Kontrolle über das Spiel zurückzugewinnen.
Doch der Nebel war lebendig – wie ein finsteres Wesen, das aus den Tiefen der alten Ruinen von Carcassonne kam, getrieben von einem unstillbaren Hunger nach Seelen und Rache. Die Geister waren nicht mehr zu stoppen. Sie näherten sich, ihre geisterhaften Hände streckten sich nach den Spielern aus, während das unheilvolle Wispern zu einem dröhnenden Chor anschwoll: „Kommt zu uns… Werdet eins mit dem Nebel…“
Die letzte Hoffnung schwand, als ein Spieler versuchte, eine Stadt abzuschließen, doch stattdessen wuchs aus den Plättchen eine alte, verfallene Ruine empor. Die Ruine pulsierte im Nebel, und aus ihrem Inneren erklang ein geisterhaftes Heulen. Die Gefolgsleute auf dem Spielfeld verwandelten sich in dunkle Schatten, die sich um die Spieler herum formierten und sie fest umklammerten.
Das Licht der Kerzen erlosch, und der Raum war nur noch von einem schwachen, geisterhaften Schimmer erleuchtet, der von den Nebelschwaden kam. Die Spieler spürten, wie ihre Körper in den Nebel gezogen wurden, ihre Schreie erstickten in der eisigen Dunkelheit. Sie hatten das Spiel verloren – nicht nur die Partie, sondern ihre Seelen.
In dieser unheiligen Nacht war Carcassonne kein gewöhnlicher Ort mehr. Es wurde zu einem Reich der ewigen Dunkelheit, einem Labyrinth aus Nebel und verlorenen Seelen. Wer einmal den Fehler machte, das Spiel an Halloween zu spielen, war dazu verdammt, für immer dort zu bleiben – ein Meeple unter Meeple, verloren im Nebel, verloren in der Vergessenheit.
Aber es gibt noch eine andere, ältere Legende. Eine, die ihr vielleicht nicht kennt…
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